Das Thema Kinder aus suchtbelasteten Familien (Children of Addicts = COAs) ist ein lange vernachlässigtes Public-Health-Problem. Die hohe Zahl der Betroffenen (siehe Kasten links) und die immens schädigenden Auswirkungen über die gesamte Lebensspanne machen es besonders dringlich, die Kinder möglichst früh zu unterstützen und zu entlasten. Kindertagesstätten, Schulen sowie Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sind hierfür besonders geeignete Orte.
Hochrisikogruppe für Sucht und psychische Erkrankungen
Kinder, deren Eltern alkoholkrank, drogenabhängig oder von nichtstofflichen Süchten betroffen sind, erleben in ihren Familien ein dauerhaft hohes Stressniveau. Statt angemessener Stressbewältigungsstrategien lernen sie früh am Vorbild der Eltern, sich bei äußerem wie auch bei innerem Druck zu regulieren, indem sie im Außen nach einer Lösung suchen, z. B. in einem zwanghaften Verhalten oder im Konsum einer beruhigenden Substanz. Hinzu kommt eine genetische Prädisposition: Kinder suchtkranker Eltern zeigen häufig eine erhöhte Toleranz für Alkohol und andere Suchtstoffe. Das heißt, dass sie im Vergleich zu anderen Jugendlichen mehr konsumieren müssen, um eine Wirkung zu verspüren. Das Zusammenspiel dieses erblichen Risikofaktors mit dem sozialen Lernen am Vorbild der Eltern führt bei COAs dazu, dass ihr Risiko für die Entwicklung einer eigenen stofflichen Sucht bis zu sechsfach erhöht ist. Etwa ein Drittel von ihnen gerät selber in den Sog der Familienkrankheit und entwickelt eine eigene stoffliche Sucht. Sie sind damit die größte bekannte Sucht-Risikogruppe. Ein weiteres Drittel zeigt psychische oder soziale Störungen.
Das einzig Sichere ist die Unsicherheit
Daneben beeinträchtigt das oft unberechenbare, unklare und extreme Verhalten der süchtigen Eltern die psychische und soziale Entwicklung der Kinder. Die Unsicherheit darüber, was im nächsten Moment passiert, ist oft die einzige Konstante im Leben von Kindern suchtkranker Eltern. In der Folge zeigen sie ausgeprägte Ängste, können nur schwer Vertrauen fassen, sind unsicher, und haben wenig oder gar kein Selbstbewusstsein. Verbreitet sind ADHS, Essstörungen, Selbstverletzungen, psychosomatische Beschwerden, Depressionen und Suizidalität.
COAs wachsen mit einem tiefen Schamgefühl und der Überzeugung auf, nicht „in Ordnung“ zu sein. Wegen der Sucht ihrer Eltern fühlen sie sich schuldig und kompensieren deren Defizite, indem sie in die Erwachsenenrolle schlüpfen. Dabei übernehmen sie Verantwortung für ihre Eltern, erledigen deren Aufgaben, erfüllen deren emotionale Bedürfnisse und nicht selten werden sie deren Ersatzpartner. Folglich leben diese Kinder in einer permanenten Überforderungssituation.
Die Bewältigung der widrigen Umstände im Elternhaus fordert den Kindern immense Kraft ab und belastet sie schwer. Kinder von Suchtkranken haben daher häufig Konzentrationsstörungen und folglich Lernschwierigkeiten und Schulprobleme. Hinzu kommen soziale Schwierigkeiten. Oft tun sie sich schwer, Freunde zu finden und leiden unter Isolation.
Sichere Orte fördern Resilienz
Da die Kinder in ihren Elternhäusern meist nicht das Maß an Sicherheit, Zuwendung und Anregung erhalten, das für ihre gesunde Entwicklung notwendig wäre, ist es umso wichtiger, dass sie die Lebensräume außerhalb der Familie als sichere Orte erleben. Kindergärten, Schulen und allen Einrichtungen, an denen Kinder und Jugendliche betreut werden, kommt daher eine Schlüsselstellung zu, wenn es darum geht, Kinder suchtkranker Eltern zu unterstützen.
Etwa ein Drittel der Kinder geht aus den Belastungen, denen sie in Suchtfamilien ausgesetzt sind, mehr oder weniger unbeschadet hervor. Dies ist kein Zufall. Bei Ihnen sind eine Reihe individueller aber auch umgebungsbezogener Faktoren wirksam, die ihnen ermöglichten, Widerstandsfähigkeit zu entfalten:
- Eine tragende Beziehung zu einer erwachsenen Vertrauensperson, bei der das Kind Annahme findet, ist die Basis.
- Darauf aufbauend kann ein positives Selbstbild sowie das Verständnis für die eigene Lebenssituation mit suchtkranken Eltern gefördert werden.
Diese und weitere Resilienz fördernde Faktoren können z. B. in Kita oder Schule positiv beeinflusst werden. Resilienzentwicklung ist zu einem guten Teil ein Lernprozess.
cevur hilft Fachkräften in Kita, Schule und Jugendhilfe, COAs zu erkennen, zu verstehen, zu unterstützen und die Entwicklung von Resilienz zu fördern. Mehr